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Prof. Dr. Eberhard Dünninger

Gefangene des Widerstands

Dietrich Bonhoeffer und seine Gefährten in Ostbayern im April des Jahres 1945

Im Frühjahr des Jahres 2000 ist der evangelische Theologe Eberhard Bethge im hohen Alter von 90 Jahren gestorben. Der von einer Presseagentur verbreitete Nachruf, der sein Leben und Werk würdigte, erhielt in er Mittelbayerischen Zeitung in Regensburg vom 23. März 2000 die zutreffende und treffliche Überschrift „Bonhoeffers Gefährte". Er war in der Tat in vielfacher Weise und über viel längere Zeit sein Gefährte als die Menschen, die es in den letzten Tagen und Wochen seines vor 55 Jahren gewaltsam zu Ende gegangenen Lebens waren.

Ich will meine Ausführungen daher auch dem Andenken Eberhard Bethges widmen, nicht nur dem Gedächtnis der damals, im April 1945, Umgekommenen und den Überlebenden. Und mehr noch: Wer von eigener jugendlicher Erinnerung an so manche Ereignisse jener Tage bewegt ist, kann auch das Schicksal jener oft nur wenige Jahre älteren politischen Gefangenen nicht ohne Betroffenheit darstellen. Er wird es nicht bei distanzierter Betrachtung der Geschehnisse belassen, nicht bei der Bewertung der historischen Quellen und des literarischen Ranges der persönlichen Zeugnisse Überlebender schreiben können.

Der 4. April 1945 war - gemessen an den damaligen Zeitumständen - in Regensburg ein ganz gewöhnlicher Tag. Die Kämpfe des zu Ende gehenden Krieges spielten sich noch vermeintlich fern am Main und im Teutoburger Wald ab, wie der „Regensburger Kurier" am Tag darauf berichtete. Die auf zwei Seiten geschrumpfte Zeitung kündigte die Lebensmittelverteilung der 74. Zuteilungsperiode mit 125 Gramm Apfelmus an. Die Verdunklungszeit begann um 20.04 Uhr. Wehrmachtsangehörige wurden über den „Regensburger Kurier" davon in Kenntnis gesetzt, dass sie während ihrer Tätigkeit für die NSDAP anstelle ihrer militärischen Uniform ihre Parteiuniform tragen dürften. Die Gliederungen der Partei hielten wie schon seit zwölf Jahren ihre gewohnten Appelle und Dienste ab.

Um 13.30 Uhr war an diesem 4. April mit dem Zug aus Marktredwitz ein älteres Ehepaar in Regensburg angekommen, das nach Jahren der Verfolgung in Dresden seit dem Untergang dieser Stadt am 13. Februar 1945 auf der Flucht war: Victor Klemperer, in Begleitung seiner Frau Eva, trug zwei Ausweise bei sich, einen gefälschten, der auf einen anderen als seinen eigenen Namen lautete, und seine Kennkarte, die ihn als Juden auswies und entrechtete, für den Zeitpunkt der nahen Befreiung seines Vaterlandes aber ein notwendiges, unschätzbares Dokument sein musste. Victor Klemperer erinnerte sich bei diesem auf wenige Stunden beschränkten Aufenthalt in Regensburg, dem Ende Mai, nach der Befreiung, auf der Rückkehr nach Dresden noch einige weitere Tage in dieser Stadt folgen sollten, an zwei frühere, Jahrzehnte zurückliegende Aufenthalte in Regensburg. Doch hielt er vor allem das Bild der Zerstörungen, der Eindrücke um den Bahnhof fest: „Trichter, zerstörte Bauten, zerstörte Waggons, zerstörte, auf Land gezogene Schiffe, ein Schiffsvorderteil senz'altro, der Bahnhof selbst zu großen Teilen Ruine."

Hätte Victor Klemperer an diesem 4. April, diesem Schicksalstag vor seiner weiteren Flucht ins Oberbayerische einige weitere Stunden in der Umgebung des Bahnhofs verbracht, so wären seiner wachen Aufmerksamkeit vielleicht zwei Omnibusse nicht entgangen, deren Insassen nach langer, erschöpfender Fahrt an diesem Abend in Regensburg ankamen. Weniger aufgefallen wäre ihm wohl eines der üblichen geschlossenen Polizeitransportfahrzeuge, eine „Grüne Minna", mit Gefangenen, deren Anblick ihm verborgen bleiben musste.

Wer waren diese über 50 Männer und Frauen, Jugendlichen und Kinder, die vor allem mit zwei Omnibussen nach einer langen nächtlichen und den ganzen Tag über währenden Fahrt in Regensburg eintrafen und in diesem Gefängnis unter Bewachung die Nacht vor ihrem Weitertransport nach

Schönberg im Bayerischen Wald verbringen mussten? Sie alle waren politische Gefangene, in deren Schicksal in den vorausgegangenen Monaten und Jahren sich die Zeitgeschichte spiegelt: der auf ganz Europa ausgreifende Machtanspruch des Dritten Reiches, die Verfolgung der politischen Gegner, die Vernichtung der Männer und Frauen des Widerstands. Die Vielfalt dieser geschichtlichen Aspekte wird sichtbar in der Zusammensetzung der verschiedenen Gruppen, in ihrer Herkunft und in ihren Schicksalen, die sie auf ungewöhnliche Weise auf diesen Wegen durch Ostbayern und in Regensburg zusammengeführt haben. Unter ihnen waren Konservative und Sozialisten, die die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und zum Dritten Reich verband, aus ihrer Lebensbahn gedrängte Menschen, trotz unterschiedlicher politische Gesinnung erfüllt von Humanität, von hohem politischen und christlichem Ethos, von Verantwortungssinn für Staat und Volk, geprägt von Familientradition und Solidarität. Viele von ihnen waren Träger großer Namen der deutschen Geschichte des zurückliegenden Jahrhunderts, vor allem des Widerstandes gegen die NS Diktatur, unter der vor allem im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 viele bereits ihren Aufstand mit dem Leben bezahlt hatten. Angehörige dieser Widerstandskämpfer, die so genannten „Sippenhäftlinge", ihre Frauen, meist schon Witwen, ihre Kinder, vielfach schon Waisen, ihre Verwandten und der Sympathie mit dem Attentat verdächtige gleichgesinnte Freunde bildeten die größte Gruppe, die Familien Stauffenberg, Goerdeler, Hofacker, Hammerstein. Zu diesen politischen Geiseln, von denen einige ohne Zusammenhang mit dem 20. Juli und überwiegend schon viel früher aus unterschiedlichem Anlass gefangen gesetzt und in Konzentrationslager gebracht worden waren, zählten Diplomaten des Deutschen Reichs und hohe Offiziere, die mit dem Regime in Widerspruch oder in Konflikt gekommen waren, um ihr Vaterland durch oft schon jahrzehntelangen Dienst verdiente Persönlichkeiten, die unter meist unwürdigen und gerade für die hohen Offiziere entwürdigenden Bedingungen oft schon aufgrund geringfügigen Verdachts oder schäbiger Verdächtigung inhaftiert worden waren, einem ungewissen Schicksal und der ständigen Sorge um ihr gefährdetes Leben ausgesetzt. Politische Geiseln waren auch Politiker, Offiziere und Beamte der Regierung des ungarischen Reichsverwesers Nikolaus Horthy, der nach der Besetzung seines Landes durch die Deutschen zur Abdankung gezwungen und interniert worden war. In dem außerhalb des eigentlichen Lagerbereiches gelegenen Sondergefängnis des Konzentrationslagers Buchenwald, im Regensburger Landgerichtsgefängnis und schließlich in den Schulhäusern von Schönberg im Bayerischen Wald trafen also höchst unterschiedliche Lebenswege und Schicksale zusammen, Leidensgeschichten und Überlebensgeschichten. Fast alle dieser politischen Gefangenen überlebten am Ende des Krieges vor allem in Tirol, doch keineswegs alle. Die Gedenktafel in Flossenbürg für die am 9. April 1945 hingerichteten Widerstandskämpfer trägt die Namen von zweien dieser politischen Gefangenen, des Theologen Dietrich Bonhoeffer und des Generals Friedrich von Rabenau.

Es sind nicht amtliche Akten, aus denen sich der Ablauf dieser Tage und Wochen im April 1945 rekonstruieren lässt. Die Turbulenz der Ereignisse, die Auflösungserscheinungen auch in den Dienststellen von Ge stapo und SS haben in dieser dramatischen Schlussphase ihrer Schreckensherrschaft auch die sonst übliche buchhalterische Akribie ihrer Verwaltung verhindert.

Quellen für das Schicksal dieser politischen Gefangenen, auch für ihren Aufenthalt in Regensburg, sind daher vor allem persönliche und private Zeugnisse, Lebenserinnerungen und andere Aufzeichnungen, auch Mitteilungen von Zeitzeugen, die sich aufeinander beziehen und überprüfen lassen Sie dokumentieren mehr als individuelle Schicksale, sie sind Bilder und Skizzen einer aus den Fugen geratenen Zeit. Sie sprechen vom zunehmenden Zusammenbruch eines zugrunde gerichteten Staates, den ihrem Ende zugehenden Schrecken der Diktatur, den letzten Auswirkungen staatlichen - und persönlichen Machtmissbrauchs und Unrechtshandelns. Sie bieten über die persönlichen Erfahrungen hinaus und durch sie auch ein Zeitbild, dessen Hintergrund sich auf andere Weise ergänzen und erhellen lässt. Sie vergegenwärtigen auch Eindrücke des vom nahen Kriegsende und den Bombenangriffen gezeichneten Regensburg. Diese persönlichen Zeugnisse dokumentieren aber auch den Überlebenswillen und die Sorge vor der drohenden Vernichtung, die Bewährung und Gelassenheit der Betroffenen in lebensgefährdenden Situationen. Sie lassen Trost im Unglück verspüren und Hilfe für die von der Verfolgung Bedrängten in ihrer Not, durch Mitgefangene wie Dietrich Bonhoeffer, durch Gefängnispersonal in Regensburg und von der hilfsbereiten Bevölkerung in Schönberg.

Es sind vor allem drei autobiografische Werke nicht nur von hohem Quellenwert, sondern auch von literarischem Rang, deren Autoren mit ihren Aufzeichnungen bald nach den Ereignissen für Zuverlässigkeit und Authentizität bürgen. Sie sind auch vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, die Quelle für die folgenden Ausführungen, zumal sie auch die höchst unterschiedliche Lebenssituation dieser politischen Gefangenen und die verschiedenartigen Gründe für ihre Inhaftierung erkennen lassen.

Zunächst und vor allem ist unter den drei von mir herausgehobenen Autoren, ihren Erinnerungswerken und damit wichtigen Quellen Isa Vermehren zu nennen. Dies tue ich aus zwei Gründen. Sie ist die einzige heute noch lebende dieser drei Zeitzeugen, die ausführliche Erinnerungen geschrieben hat. Ihr Buch „Reise durch den letzten Akt - Ravensbrück, Buchenwald, Dachau: eine Frau berichtet", das an Allerheiligen und Allerseelen 1945 abgeschlossen wurde und 1946 erschien, ist auch nach mehr als einem halben Jahrhundert noch lieferbar und hatte es bis zum Jahr 1994 auf eine Auflage von 30000 Exemplaren gebracht. Ihr Bericht muss im Zusammenhang mit ihrer ungewöhnlichen Biografie gelesen werden. Sie wurde 1918 in Lübeck geboren, 1933 vom Gymnasium verwiesen, weil sei die Hakenkreuzfahne nicht grüßte. Sie war dann Kabarettistin und Sängerin in Werner Fincks „Katakombe" in Berlin, holte am Abendgymnasium ihr Abitur nach und konvertierte 1938 zum Katholizismus. Zusammen mit ihrer Familie wurde sie schon im Februar 1944 zum Sippenhäftling, als ihr Bruder ohne Kenntnis und Beteiligung der Familie auf die Seite der Alliierten wechselte. Ihre „Reise durch den letzten Akt" führte sie in die Konzentrationslager Ravensbrück, Buchenwald und nach der Fahrt über Regensburg und Schönberg schließlich Dachau, bi zur Befreiung aller dieser Sippenhäftling( und politischen Gefangenen in Südtirol an Kriegsende. Nach dem Krieg studierte sie Englisch und Deutsch, wurde 1951 Ordensschwester in der Gesellschaft der Ordensfrauen vorn Heiligsten Herzen Jesu, späte Leiterin eines katholischen Mädchengymnasiums in Hamburg und lebt jetzt im Ruhestand in einem Haus ihrer Schwesterngemeinschaft in Bonn. Ihr Buch, wie sie selbst voller Widerstandsgeist und Überlebenswillen, erweist sie als herausragende Chronistin des Grauens „dieser unermesslichen KZ Landschaft", vor allem des Schreckens ir Konzentrationslager Ravensbrück. Es is wie wenige vergleichbare Bücher geschrieben voller Mitgefühl für die Leidensgefährten und mit kluger Einsicht in die Gefühle der Bewacher- voller Einfühlungsvermögen und Überzeugungskraft. Die Physiognomie und Psychologie von SS-Angehörigen und Frauen im Wachpersonal wird in einer beklemmenden Weise beschrieben, doch ohne Hass und Menschenverachtung, sondern mit dem Bemühen, das Unfassbare dieser menschlichen Abgründe auszuloten. Treffsicher ist ihre kluge Darstellung der Zeitumstände und der Menschen, überzeugend ist sie in ihrem tiefgründigen philosophischen Denken. Noch immer gilt für sie der bei der Niederschrift bewegende Gedanke, „dass es noch immer so erschreckend viele Menschen gibt, die nicht glauben können und wollen, dass hinter den glorreichen Kulissen der Nazipropaganda wirklich Ströme von unschuldig vergossenem Blut geflossen sind".

Zu den bemerkenswerten Zügen ihres Buches von hohem literarischem Rang gehör die wohl auch im Beruf erworbene Meister Eindruck der wachsenden Gefährdung der Berliner Gefängnisse durch die alliierten Luftangriffe nach Thüringen gebracht worden, Isa Vermehren befand sich erst wenige Tage seit ihrer Ankunft in Weimar im Lager Buchenwald. Die herannahende Front und die Aussicht auf baldige Befreiung des Lagers durch die amerikanischen Truppen beflügelten wohl manche Hoffnungen, sie gaben aber auch den Anstoß, diese Gefangenen gemeinsam nach Osten und dann nach Süden zu bringen. Der nationalsozialistischen Regierung lag daran, sie nicht in die Hände der Alliierten fallen zu lassen, sondern sie über Flossenbürg und Regensburg in die Alpen zu bringen, um sie wohl auch als Geiseln in ihrem Gewahrsam zu behalten. Es ist zunächst der gleiche Weg, auf dem dann auch ein großer Teil der gewöhnlichen Häftlinge dem ungewissen Schicksal ihrer Todesmärsche ausgeliefert wurde. Nicht alle Wegstrecken und nicht alle genauen Abläufe dieser Fahrt lassen sich einwandfrei aus den Schilderungen der Beteiligten rekonstruieren, zumal die verschiedenen Fahrzeuge offensichtlich auch immer wieder anstelle des geschlossenen Konvois getrennt wurden. Leon Blum war der aufmerksamste Beobachter der Fahrtroute, die keineswegs gleich nach Süden, sondern zuerst zur Grenze zu Böhmen führte, dessen Nähe er an der Landschaft, Architektur in den Dörfern, den Trachten und den Namen erkannte. Seine Ankunft in Flossenbürg legte es nahe, an die Planung einer Unterbringung in diesem abgelegenen Konzentrationslager zu denken. Leon Blum hat in den Stunden des Wartens innerhalb des Lagers beklemmende Bilder des Elends der Häftlinge bei ihrer Fronarbeit festgehalten: „Der ganze Ort atmet Elend, Leiden und Tod." Doch die Fahrt geht zurück nach Neustadt an der Waldnaab, dessen Markt zum Sammelplatz des Konvois und auch zum Übernahmeort für einzelne Häftlinge aus Flossenbürg wurde. Die Grüne Minna aus Buchenwald mit besonders bewachten Gefangenen wie Bonhoeffer und Best wurde dann südlich von Weiden von einem anderen Fahrzeug überholt und angehalten. Drei der Insassen, unter ihnen der zur Abwehr gehörende Hauptmann Ludwig Gehre, ebenfalls am 9. April 1945 hingerichtet, und der durch glückliche Umstände mit dem Leben davongekommene Rechtsanwalt Dr. Josef Müller, wurden herausgeholt und nach Flossenbürg verbracht. Dietrich Bonhoeffer verblieb in dem nach Süden weiterfahrenden Wagen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob sein Verbleiben ein Versehen, vielleicht aus Unkenntnis seiner Person, war, oder er selbst hoffte, einen Zufluchtsort zu erreichen und sein Leben retten zu können. Dies war eine Hoffnung, die am 8. April in Schönberg zerstört wurde.

Über die weitere Fahrtroute nach Regensburg - insgesamt nimmt der Transport von Buchenwald her eine Fahrzeit von zwölf Stunden in Anspruch - können die Gefangenen in der Grünen Minna und die Insassen der Busse wenig berichten, da die Fensterscheiben dieser Fahrzeuge mit Farbe zugestrichen waren. Wiederum ist es Leon Blum im Pkw unter SS-Bewachung, der kleine Bilder und landschaftliche Eindrücke aufnimmt und festhält, die friedliche Stimmung in Neustadt an der Waldnaab mit dem Gespräch der Nachbarinnen und dem Spielen der Kinder, fern vom Krieg und unbeschwert von allen Bedrängnissen. Leon Blum nimmt auch die Landschaft des Naabtals wahr: „Wir fahren jetzt ein gewundenes Tal hinab. Die Bäume und Wiesen sind von feinstem, zartestem Grün; die ganze Landschaft, Umriss und Farbe, bildet eine vollkommene Harmonie. Auf der Höhe, auf der anderen Seite des Flusses, liegt ein von seinen alten Mauern umschlossenes Städtchen" - es dürfte wohl Nabburg gewesen sein, das sich dann zwei Monate später auch Victor Klemperer auf seinem Rückweg nach Dresden eingeprägt hat. Leon Blum schildert auch am ausführlichsten seine abendliche Ankunft am 4. April in Regensburg: „Die Stadt ist schwer getroffen von amerikanischen Bombenangriffen. Die Gruppen von Menschen, denen wir bei unserer Fahrt durch die Straßen begegnen, wo sie geduldig vor den Ladentüren anstehen, haben wahrhaftig nichts Triumphierendes oder Überhebliches an sich; auf ihren abgemagerten, bedrückten Gesichtern erkennt man die Zeichen von Furcht und auch schon von Not." Der begleitende SS-Offizier - wie auch die Wachmannschaften der Omnibusse ohne Vertrautheit mit den geografischen Verhältnissen in der Oberpfalz und der örtlichen Situation in Regensburg - muss sich zur Gestapo durchfragen, so dass das Fahrzeug schließlich vor der Polizeidirektion zum Stehen kommt, damit dort weitere Instruktionen eingeholt werden können. In der Wartezeit aufkommende Fluchtgedanken werden verworfen. „Wir verlassen das Stadtzentrum und nähern uns offensichtlich dem Bahnhof, dem üblichen Ziel der Bombenangriffe, denn wir fahren zwischen Häuserblocks, die sich in Trümmerhaufen verwandelt haben. Das Auto nimmt den Weg durch eine breite, mit Bäumen bepflanzte

fängnis, im Gespräch durch das Guckloch seiner Zellentür und dann in persönlichen Begegnungen, erst recht im Schulhaus von Schönberg wurde Bonhoeffer ein Tröster der Betrübten, Hilfe für die Gefangenen, Seelsorger in der Not bis zum letzten Tag seines Lebens. Handschriftliche Aufzeichnungen aus diesen Wochen hat er nicht hinterlassen, wohl aber lebt er fort in der Begegnung mit seinen Mitgefangenen und in ihrer Erinnerung, die sie über den Tod hinaus im Gedächtnis behalten, bewahrt und aufgezeichnet haben. Dietrich Bonhoeffer ist in diesen Tagen der geistige und geistliche Mittelpunkt dieser Menschen, aus deren Kreis er so unvermittelt herausgerissen wurde, als am 8. April im Schulhaus von Schönberg die Gestapo sich seiner wieder bemächtigte. Am bewegendsten ist der Bericht der Witwe von Carl Goerdeler, Anneliese Goerdeler, die in einer Aufzeichnung aus dem November 1945 ihre Kontaktaufnahme mit dem in seiner Zelle eingesperrten Dietrich Bonhoeffer schildert: „Dann gelang es uns, mit ihm etwa 20 Minuten durch ein Guckloch zu sprechen. Wir erfuhren durch ihn, dass unser Vater wahrscheinlich nicht mehr lebe, dass er aber einen völlig gefassten, bereits der Welt abgekehrten Eindruck machte, wann auch immer er ihn gesehen und gesprochen habe. Er sei nur sehr schmal und elend gewesen; und so habe es ihn doppelt gefreut, von seinen eigenen Lebensmittelpaketen - gerade auch Weihnachten - ihm abgeben zu dürfen. Von sich selbst sprach er wenig. Vielleicht waren wir auch in unserem Hunger nach Nachrichten so sehr befangen, dass wir ihn nicht eingehend nach seinem eigenen Ergehen gefragt haben. Er gab aber der Hoffnung Ausdruck, der schlimmsten Gefahrenzone entronnen zu sein und einem leichteren Schicksal entgegen zu gehen. Vor allem lag ihm am Herzen, Nachricht von seinen alten Eltern und seiner Braut zu erhalten, deren Schicksal in Pommern völlig ungewiss war." Die Tochter Goerdelers, Dr. Marianne Meyer-Krahmer, hat mir im Dezember 1995 ihre eigene Begegnung mit Bonhoeffer in Schönberg dargestellt: „In der Erinnerung sehe ich uns Sippenhäftlinge in einem großen Schlafsaal untergebracht ... Als ich aus unserem Zimmer ... heruntergehen will, kommt aus dem Nebenzimmer ein groß gewachsener Mann von kräftiger Statur. Schnell machen wir uns miteinander bekannt. Ich erfahre, dass es Bonhoeffer ist, dessen Namen ich ja kannte. Er freut sieh, eine Tochter von Carl Goerdeler zu sehen, und verspricht, mir alles über meinen Vater aufzuschreiben, was er von und über ihn in der Haftzeit erfahren hat; er war meines Vaters Zellennachbar in der Prinz-Albrecht-Straße und hatte ihm ab und an etwas zu Essen zustecken können. Mein Vater gehörte ja zu den Gefangenen, die niemand hatten, die sie versorgen konnten, da die Familie und Freunde verhaftet (waren), und wer hätte wohl außer der Familie sich zu einem so wichtigen Hitler Gegner zu bekennen gewagt! Aber zu einem geschriebenen Wort, das wir erhielten, ist es nie gekommen ... Bonhoeffers Bericht über meinen Vater wäre der einzige von einem Menschen gewesen, der ihm nahe stand in seiner grenzenlosen Einsamkeit ... Sie werden verstehen, dass nur dieses Erlebnis meine Erinnerungen bestimmt; Daten Lind Orte dagegen verblassen."

In Anneliese Goerdelers Bericht, veröffentlicht in dem Sammelband „Begegnungen mit Dietrich Bonhoeffer", ist mir schon vor Jahren ein Satz aufgefallen, der andere Äußerungen dieser politischen Gefangenen über hilfreiche und freundliche Wärter nicht nur bestätigt, sondern erhellt hat: „Kleine Erleichterungen schaffte uns der unermüdlich besorgte Kalfaktor Viehhändler Kiendl, der selbst wegen einer Äußerung über den 20. Juli inhaftiert war. So gelang es uns, mit seiner Hilfe an die in ihren Zellen eingesperrten Insassen der Grünen Minna' heranzukommen." Dies ist der einzige Name eines Regensburgers, der in all diesen Aufzeichnungen und Dokumenten begegnet. In dieser Zeit des Kleinmuts und Opportunismus unter der Schreckensherrschaft hat er mutig gehandelt und ist - gewiss nur eine Randfigur - in die Geschichte dieser Gefangenen und auch des Widerstands in dieser Stadt eingegangen. Es war der Viehhändler Alois Kiendl, der als NSDAP-Mitglied schon Jahre vorher durch kritische Reden aufgefallen war und nach einer Äußerung zum 20. Juli im Herbst 1944 verhaftet worden war. Die Staatsanwaltschaft hatte ein Verfahren wegen Wehrkraftzersetzung gegen ihn beantragt, das wohl wegen der immer schwierigeren Verkehrsverbindungen nach Nürnberg und Berlin nicht zum Abschluss kam.

Die Erwähnung des Namens Kiendl in der Aufzeichnung von Anneliese Goerdeler hat es mir schon vor einigen Jahren ermöglicht, mit seiner Familie Verbindung aufzunehmen und Einsieht in seinen schriftlichen Nachlass, vor allem in die Dokumente seiner Zeit im Gefängnis, zu erhalten. In diesen Dokumenten wird die Rolle des Alois Kiendl im Gefängnis an der Augustenstraße, sein fürsorgliches Verhalten gegenüber den politischen Gefangenen am 4. und 5. April 1945 bezeugt und verständlich. Dazu gehört ein ausdrücklicher Dankbrief Anneliese Goerdelers, der dieser Regensburger Viehhändler in Erinnerung geblieben war. Mit einem anderen Sippenhäftling, Markwart Schenk von Stauffenberg, einem Vetter des Attentäters, entwickelte sieh nach der Befreiung noch ein reger Briefwechsel, der ebenfalls den Dank dieser Familie zum Ausdruck brachte. Die ebenfalls als politische Gefangene inhaftierten Mitglieder der früheren ungarischen Regierung und einige Gefangene polnischer Herkunft haben Alois Kiendl beim Abtransport ihre Namen und Adressen übergeben, um angesichts ihres ungewissen Schicksals ein Lebenszeichen zu hinterlassen. So hatte er offensichtlich das Vertrauen der politischen Häftlinge gewonnen; sie stellten ihm später gute Zeugnisse aus und beschrieben ihn als einen hilfsbereiten und aufrechten Mann mit Mut und Zivilcourage. Alois Kiendl hat seiner Heimatstadt in dieser dunklen Zeit Ehre gemacht, damals und noch heute. Als wenige Wochen später die amerikanischen Truppen bei ihrer Befreiung Regensburgs von der Schreckensherrschaft auch Alois Kiendl die Freiheit wieder gaben, konnte er auf ihre Nachfrage nach dem Verbleib der politischen Gefangenen hin auf deren Weitertransport nach Schönberg im Bayerischen Wald verweisen. Dorthin waren diese Gefangenen bereits am Abend des 5. April 1945 wieder in einem Konvoi von Fahrzeugen auf den Weg gebracht worden. Wiederum wurde es eine schwierige und hindernisreiche Fahrt, mit Pannen der mit Holzgas betriebenen Fahrzeuge, mit Irrwegen und Überquerung der Donau auf der Pontonbrücke unterhalb von Deggendorf; eine ganze Nacht war man für rund 100 Kilometer unterwegs, so dass Leon Blum in seinen Aufzeichnungen sarkastisch bemerkte: „So viel steht fest: im deutschen Apparat ist alles defekt und funktioniert nicht mehr richtig. Ganz Deutschland steckt jetzt in einer einzigen Panne, so wie unsere Motoren."

Zum Bild dieser Fahrt nach Schönberg gehören in der Schilderung Bests nicht nur die ausgebrannten Autowracks am Straßenrand, die dicht gesäten Bombentrichter und die SS-Begleiter mit ihren schussbereiten Maschinenpistolen im Anschlag. Auch die landschaftlichen Eindrücke jenes auch in meiner Erinnerung so unbeschreiblich schönen Frühjahrs fehlen nicht in den Aufzeichnungen der politischen Gefangenen, die „lieblich vorbeiziehende Landschaft mit friedlichen Bauernhäusern und ab und zu einem dunklen Fichtengehölz", „eine immer bergiger und waldiger werdende Landschaft" (Best). Isa Vermehren freilich ängstigte sich, „dass das Reiseziel so nah an der tschechischen Grenze gelegen war und so weit ab von der westlichen Front, und mit dem tieferen Eindringen in die zerklüftete Unwirtlichkeit des Bayerischen Waldes steigerte sich das Gefühl der Ausgeliefertheit". Sorgsam achtete das Wach- und Begleitpersonal auf dieser Fahrt darauf, dass die wahre Identität der Gefangenen verborgen blieb. Leon Blum und seine Frau sollten als Gauleiter mit Begleitung ausgegeben werden. Neugierigen Dorfmädchen, die gelegentlich von den SS-Wachen zur Mitfahrt aufgenommen wurden, erklärte man, es handle sich um Mitglieder einer Filmgesellschaft auf dem Weg zu Aufnahmen für einen Propagandafilm. In Schönberg wurden sie dann als „evakuierte SS-Familien" (Isa Vermehren) angekündigt. Die Realität dieser letzten Kriegstage freilich entsprach auch im Bayerischen Wald nicht mehr den glorreichen Wunschträumen der gewohnten nationalsozialistischen Propaganda. Isa Vermehren hat in wenigen Sätzen eindrucksvoll diese „bedrückenden Bilder des zu Ende gehenden Krieges" festgehalten: „Ungeordnete Haufen von Soldaten in verdreckten und zerschlissenen Uniformen kamen über die Landstraße, müde Pferde zerrten schwere Wagen mit zerrissenen Planen den Berg herauf, klappernde, vernachlässigte Lastkraftwagen fuhren das unwahrscheinlichste Gepäck über den Markt: neben Maschinengewehren und Gasmasken lagen Matratzen und Bettgestelle, neben Benzinkanistern und Munitionskisten standen Wäschekörbe und Vogelbauer. Wie welke Blätter und zerrissene Fetzen trieben diese Reste einer geschlagenen aufgelösten Armee durch das Land, getrieben vom nachdrängenden Feind, dessen Kommen man vorauszuspüren meinte wie das Heranziehen des brausenden Sturmes hinter der noch schützenden Hügelkette."

Schönberg erwies sich für die Gefangenen trotz anfänglicher Sorgen um Unterkunft und Verpflegung als ein Zufluchtsort von relativer Sicherheit: ein tatkräftiger und hilfsbereiter Bürgermeister in dieser schon mit 1300 Flüchtlingen überfüllten Gemeinde, rasch einsetzende Sympathie und Solidarisierung der Bevölkerung mit den unschuldigen Opfern des Nationalsozialismus, deren Identität und Notlage bald bekannt wurden, halfen den in zwei Schulhäusern untergebrachten Gefangenen. Bald wurde von freundlichen Bürgern für Verpflegung gesorgt, die gespendeten Gaben bei einem Bäckermeister gesammelt und immer wieder in der Nacht in einem Korb zu den Gefangenen unbemerkt hinaufgezogen. Eine Dankesurkunde mit den Unterschriften zahlreicher Sippenhäftlinge bezeugt bis heute diese menschenfreundliche Hilfsbereitschaft und die Dankbarkeit der Gefangenen, die immer noch im Gedächtnis der Bevölkerung von Schönberg fortleben, nicht zuletzt in der Erinnerung von Zeitzeugen. Früh und eindringlich wurde in Schönberg auch des Dieter Bonhoeffer gedacht. Schon seit 1982 erinnert ein Gedenkstein mit einer Inschrift an ihn - „Blutzeuge Jesu Christi" -, die evangelische Kirche trägt ebenso seinen Namen wie eine Straße. 1995 wurde eine Gedenktafel an dem Schulhaus, in dem Dietrich Bonhoeffer gefangen gehalten war, angebracht. Die Grund- und Hauptschule erhielt im gleichen Jahr den Namen „Dietrich-Bonhoeffer-Schule". Das jüngst erschienene Heimatbuch der Marktgemeinde Schönberg gedenkt der damaligen Ereignisse. Vielleicht erinnert sich mancher in Schönberg aus den Erzählungen der Eltern oder aus eigenem Kindererleben noch an den 16. April 1945, als die letzten politischen Gefangenen auf dem Weg nach Dachau und dann nach Südtirol Abschied nahmen, als die Menschen an den Straßen standen, winkend, mache mit Tränen in den Augen.

Dietrich Bonhoeffer war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr am Leben. Seinen Abschied von Schönberg hat S. Payne Best in berühmt gewordenen Sätzen seines Buches festgehalten:„Am folgenden Tag, Sonntag, dem 8. April 1945, hielt Pastor Bonhoeffer eine kleine Andacht und sprach zu uns in einer Weise, die allen zu Herzen ging. Er fand genau die richtigen Worte für das Wesen unserer Gefangenschaft und für die Gedanken und Schlussfolgerungen, die sie mit sich gebracht hatte. Kaum hatte er das Schlussgebet beendet, als die Tür geöffnet wurde und zwei übel aussehende Männer in Zivil eintraten und sagten: Gefangener Bonhoeffer, fertigmachen und mitkommen.` Dieses Wort mitkommen' hatte für alle Gefangenen nur eine Bedeutung: Hinrichtung.

Wir sagten ihm Lebewohl - er nahm mich beiseite - Dies ist das Ende', sagte er, für mich der Beginn des Lebens', und dann gab er mir eine Botschaft, die ich, wenn ich könnte, dem Bischof von Chichester, einem Freund aller evangelischen Pfarrer in Deutschland, übermitteln sollte."

Dies sind die letzten von Dietrich Bonhoeffer überlieferten Worte. Am anderen Morgen wurde er zusammen mit Admiral Wilhelm Canaris, Hans Oster, Karl Sack, Ludwig Gehre und Theodor Strünck in Flossenbürg hingerichtet. Ungeklärt ist bis heute das Schicksal des ebenfalls auf der Gedenktafel im Konzentrationslager Flossenbürg genannten Generals Friedrich von Rabenau, der seit 1943 zwischen dem militärischen Widerstand und Carl Goerdeler vermittelt hatte und nach dem 20. Juli 1944 verhaftet worden war. Schon in Buchenwald hatte er mit Dietrich Bonhoeffer die Zelle geteilt. In den Schilderungen der Zeitzeugen unter den Gefangenen, vor allem in den Aufzeichnungen von Best, begegnet er immer wieder, zuletzt in Schönberg. Er war aber sicher nicht in Bonhoeffers Begleitung auf dem Weg nach Flossenbürg am 8. April, sondern wurde nach dem Zeugnis von Anneliese Goerdeler erst drei Tage später abgeholt. Die Annahme, dass er am 12. April 1945 in Flossenbürg erschossen wurde, dass auch für ihn ein Standgerichtsverfahren durchgeführt wurde, lässt sich nicht erweisen. Seine Familie hat sich lange bemüht, sein Schicksal aufzuklären, und ihn schließlich für tot erklären lassen. Für Friedrich von Rabenau und Dietrich Bonhoeffer schloss sich in diesen wenigen Tagen im April 1945 in Ostbayern, in der Oberpfalz und im Bayerischen Wald der Kreis des Lebens.

Was bleibt? Was bleibt dauerhaft von Friedrich Bonhoeffer: sein umfassendes theologisches Werk von weltweiter Bedeutung und Wirkung? Sein Wirken als Pfarrer der Bekennenden Kirche? Seine mutige Entscheidung für den Widerstand gegen das NS-Regime? Die Erforschung seines Werkes und das Gedenken an einen „Märtyrer aus Deutschland", einen „Märtyrer der Christenheit", wie ihn Eberhard Bethge schon 1982 in Schönberg genannt hat? All dies und mehr wird Bestand haben, gewiss auch das berühmte, keinesfalls als idyllisch misszuverstehende Gedicht, das er 1944 vor Weihnachten im Gestapogefängnis an der Prinz-Albrecht-Straße für seine Familie geschrieben hat. Es hat auch hier seinen Platz:

Von guten Mächten

Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, -

so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen

das Heil, für das Du uns geschaffen hast.

Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern,

des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus Deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken

an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,

dann woll"n wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört Dir unser Leben ganz.

Lass wann und hell die Kerzen heute flammen,

die Du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen!

Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang

der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all Deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Silvester 1944

 

Die bisherige Fassung des Textes war seit 1945 durch eine zunächst allein zugängliche Schreibmaschinenabschrift vom handschriftlichen Original überliefert. Anhand einer wieder gefundenen Xeroxkopie der Handschrift konnte die Revision vorgenommen werden. An vier Stellen ändert sich die bisherige Fassung:

Strophe 2, Zeile 3: bisher: aufgescheuchten, jetzt: aufgeschreckten;

Strophe 2, Zeile 4: bisher: bereitet; jetzt: geschaffen;

Strophe 5, Zeile 1: bisher: still, jetzt: hell;

Strophe 7, Zeile 3: bisher: mit, jetzt: bei.

(Eberhard Bethge, Erstes Gebot und Zeitgeschichte. Aufsätze und Reden 1980-1990. München 1991. S. 153).

Dietrich Bonhoeffer

Dietrich Bonhoeffer, 1906 in Breslau geboren, studierte Theologie in Berlin bei Adolf von Harnack und Reinhold Seeberg, promo-vierte 1927 und habilitierte sich 1929. Nach mehreren Auslandsaufenthalten (Barcelona, New York und London) erhielt er einen Lehrauftrag für Systematische Theologie an der Berliner Universität. 1935 wurde er Leiter des Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Finkenwalde, 1936 entzog ihm das NS-Regime die Lehrbefähigung an der Universität; es folgten Schreibverbot und schließlich Ausweisung. 1939 lud Reinhold Niebuhr ihn zu Vorlesungen nach den USA ein, aber Bonhoeffer kehrte vor Kriegsbeginn zurück. In der Heimat schloss er sich der politischen Widerstandsbewegung an. Am 5. April 1943 wurde er verhaftet und trotz ergebnisloser Untersuchungen in Berliner Gefängnissen festgehalten und am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg umgebracht.

Herzlichen Dank

Herrn Professor Dr. Eberhard Dünninger für diesen Beitrag, Herrn Gerhard Steppes Michel und Vors. der Sektion Schönherg, Franz König für die Unterstützung. -hr-